BILDUNGSLEISTUNG DURCH VERBINDLICHKEIT

VERBINDLICHKEIT

BILDUNGSLEISTUNG DURCH VERBINDLICHKEIT – WAS BEDEUTET DIES FÜR BERUFLICHE SCHULEN?

PROF. DR. KARL WILBERS Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung E-Mail: karl.wilbers@fau.de

ABSTRACT

Der Aktionsrat Bildung analysiert in seinem Jahresgutachten bildungspolitische Brennpunkte und erarbeitet politische Handlungsempfehlungen. Das neue Gutachten untersucht die Verbindlichkeit und Eigenverantwortung in und durch Bildung. Beleuchtet werden alle Phasen, von der frühen Bildung bis zur Weiterbildung. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Auswirkungen auf berufliche Schulen.

DER AKTIONSRAT BILDUNG: UNAB-HÄNGIGES GREMIUM VON FACHLEU-TEN ALLER BILDUNGSPHASEN

Der Aktionsrat Bildung ist ein politisch unabhängiges Expertengremium, das von der vbw, der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, initiiert wurde. Er verfolgt das Ziel, die Lage des Bildungssystems zu analysieren, zu bewerten und Handlungsempfehlungen zu formulieren, die sich vor allem an die Politik richten. Die Analyse erfolgt sowohl für die einzelnen Bildungsphasen, also die frühe Bildung, die Primarstufe, die Sekundarstufe, die berufliche Bildung, die Hochschulen und die Weiterbildung, als auch phasenübergreifend. Ein wichtiges Aktionsfeld des Aktionsrats Bildung sind die Jahresgutachten, die zu einem Brennpunktthema erstellt werden. Die Jahresgutachten können auf der Webseite des Aktionsrats www.aktionsrat-bildung.de heruntergeladen werden. Dort wird auch die Literatur zu diesem Beitrag detailliert ausgewiesen.

25 JAHRE PISA-SCHOCK IM LAND DER DICHTER UND DENKER

Als sich vor inzwischen fast 25 Jahren abzeichnete und durch das Programme for International Student Assessment-Studie (PISA) von 2000 sichtbar wurde, dass deutsche Schülerinnen und Schüler im internationalen Leistungsvergleich schlecht abschnitten, reagierte die – vorwiegend auch mediale – Öffentlichkeit mit einer Mischung aus Betroffenheit und Entsetzen. Man mochte sich nicht vorstellen, dass eine historisch erfolgreiche Bildungsnation im Vergleich mit anderen Ländern diesen Titel nicht mehr verdiente. Aus Sorge um die ökonomische und politische Zukunft entstand eine breite Reformbewegung, in deren Zusammenhang nicht nur viele neue Konzepte für Schule und Bildung entstanden, sondern diese oft auch tatsächlich auf den Weg gebracht wurden, im bildungspolitischen Raum, in den Bildungsadministrationen, in den Bildungseinrichtungen bis hin zur Gründung etlicher Bildungsforschungsinstitute, die die Gründe für die desaströse Lage ermitteln sollten.

Insgesamt stiegen die Ausgaben für das Bildungssystem in Bund und Ländern von 79,3 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 181 Milliarden Euro im Jahr 2023 an. Dass diese Aktivitäten zunächst durchaus erfolgreich waren, zeigt, an einem üblichen, wenn auch nicht unumstrittenen Indikator, exemplarisch die Leistungsentwicklung in den PISA-Tests seit 2000. Bis etwa 2012 verzeichneten die Leistungen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften eine erhebliche Verbesserung, sanken aber dann zum Teil stark ab, bis unter den Ausgangswert von 2000. Das umfasst nicht nur den gemessenen Kompetenzerwerb der Lernenden, sondern auch den Umstand, dass ein erheblicher Teil von rund sieben Prozent eines Altersjahrgangs keinen Schulabschluss oder andere Zertifikate mehr erwirbt.

Warum der Rückfall seit über zehn Jahren? Der Aktionsrat Bildung geht im Gutachten der Hypothese nach, dass der Grund dafür in einem unzureichenden und sich womöglich verschlechternden Mitwirkungsverhalten jener Akteure liegen könnte, ohne die jede Reformbemühung und Investition im Bildungswesen leerläuft: Die einzelnen Einrichtungen und ihr Personal, aber sicher auch Schülerinnen und Schüler sowie die für sie verantwortlichen Eltern und Familien.

VERBINDLICHKEIT UND PFLICHT: BEDEUTUNGSVERSCHIEBUNGEN?

Das Gutachten arbeitet die historische Entwicklung des Pflichtbegriffs im Zusammenhang mit Bildung auf. Es wird verfolgt, wie sich das noch weit in das 20. Jahrhundert hinein übliche Begriffsverständnis verändert hat, und ob beziehungsweise gegebenenfalls, wie sich das Bildungsgeschehen möglicherweise seit der Mitte des zurückliegenden Jahrhunderts in Richtung einer ausschließlichen Aufgabe für den Staat, und nicht mehr für die Individuen, transformiert haben könnte. Ist vielleicht das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass Bildung nicht allein Aufgabe des Staates ist, sondern auch eine Aktivität von Lernenden und ihrer Anstrengungsbereitschaft sowie des pädagogischen Personals ist?

Dem Gutachten liegt die These zugrunde, dass die lernenden Individuen und die anderen Akteure Verantwortung übernehmen müssen und für ihr Verhalten rechenschaftspflichtig sind. Als Voraussetzung auf Seiten des Bildungssystems wird die Anforderung formuliert, dass die Individuen darauf vertrauen können müssen, dass ihnen im Bildungssystem mit Verlässlichkeit, Transparenz und Fairness begegnet wird. Das hat eine Fülle von Implikationen bis in die Makrostrukturen des Bildungssystems, z. B. bei der Frage der Vergleichbarkeit von Schulleistungen oder hinsichtlich des elterlichen Wissens über die Bedeutung der Bildung und des Wissens über das Bildungssystem.

Dem vorliegenden Gutachten kommt auch deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil kommende Empfehlungen zu Entwicklungen des Bildungswesens, die in der Folge von KI, Kriegsgeschehen, Autoritarismus oder neuer Weltordnung auftreten, auf diese Einsicht angewiesen sind, dass nicht nur der Staat oder die Gesellschaft, sondern auch jedes Individuum für die Bewältigung solcher Herausforderungen verantwortlich ist.

25 JAHRE PISA-SCHOCK: VERÄNDE-RUNGEN DER BERUFSBILDUNG

Die Entwicklung der Berufsbildung der letzten 25 Jahre ist durch sich überlagernde kontinuierliche und disruptive Veränderungen gekennzeichnet. So schlagen sich bei den disruptiven Veränderungen nach 2000 die internationale Finanzkrise (2008) und die Covid-19-Pandemie (2020) unmittelbar in einem signifikanten Rückgang der Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze nieder. Auch die europäische Flüchtlingskrise (2015) hatte – wie im letzten Jahrtausend die Wiedervereinigung oder die Flüchtlingsbewegung aus dem ehemaligen Jugoslawien – große Bedeutung für die Berufsbildung.

Daneben haben kontinuierliche, zum Teil schleichende Veränderungen, etwa die Verschiebung der relativen Bedeutung der Wertschöpfungssektoren oder demografische Veränderungen, Auswirkungen auf die Berufsbildung.

Die Entwicklung der Berufsbildung seit 2000 wird im Gutachten an Indikatoren nachgezeichnet, die entlang des KI-PO-Modells (Kontext, Input, Prozesse, Output) strukturiert sind. Die zentralen Ergebnisse lassen sich für die weitere Argumentation wie folgt festhalten.

Kontext:Insgesamt spiegeln die berichteten Daten zum Kontext der Berufsbildung eine deutliche Veränderung des Ausbildungsmarktes in den letzten 25 Jahren wider. Sie weisen auf eine Stärkung der Marktposition von Auszubildenden hin. Sie stellen die Verhältnisse auf den Kopf, die im letzten Jahrtausend auf dem Ausbildungsstellenmarkt herrschten, als die Integration der geburtenstarken Jahrgänge die zentrale Herausforderung war. Damit werden die Anforderungen an einen Ausbildungsplatz gesenkt. Das hat psychologische Auswirkungen, die das Gutachten umfänglich beleuchtet.

Input:Bezüglich des Inputs der Berufsbildung reflektiert das Gutachten die Bedingungen auf Seiten der Lernenden, des Bildungspersonals, der Leitungen beziehungsweise Führungskräfte sowie der Ordnungsunterlagen. Bei den lern-seitigen Bedingungen werden vor allem die Verschlechterung der basalen Kompetenzen sowie die Heterogenität dargelegt. Bezüglich der Lehrkräfte prognostizierte die Kultusministerkonferenz seit dem PISA-Schock immer wieder eine erhebliche Unterdeckung des Bedarfs an Lehrkräften für berufliche Schulen, der sich in einer Unterversorgung der Privaten niederschlägt. In den 1990er Jahren entfaltete sich in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik der didaktische Anspruch der Handlungsorientierung. Er führt stufenweise zu Beginn des Jahrtausends in eine neue Form von Lehrplänen, die ebendiesen Anspruch erheben.

Prozesse:Die Prozesse in der Berufsbildung sind komplex. Sie finden in unterschiedlichen Steuerungslogiken, unterschiedlichen Bereichen und Ebenen statt. Ob auf der Mikroebene des Unterrichts der curricular erhobene Anspruch der Handlungsorientierung umgesetzt wird, kann nicht sicher nachgewiesen werden, wenngleich sich Zweifel erheben. Das Gutachten weist auf einer höheren Ebene nach, dass es um das Jahr 2000 intensive Diskussionen zur Neugestaltung der Governance der Berufsbildung gegeben hat. Der damals erhobene Anspruch der Autonomie beruflicher Schulen muss immer noch als weitgehend nicht eingelöst betrachtet werden.

Output:Bezüglich der Outputs der Berufsbildung können mangels Verfügbarkeit von Daten nur wenige Indikatoren skizziert werden. So wird ein International Vocational Education and Training Assessment (PISA-VET) seit längerem diskutiert und vorbereitet, wird jedoch auch in den nächsten Jahren noch keine Daten liefern. Einfache Indikatoren, vor allem der Ausbildungserfolg, bleiben weitgehend unverändert.

Zusammenfassend:Die letzten 20 Jahre seit dem PISA-Schock sind durch markante Änderungen geprägt. Allerdings fehlen umfassende Antworten auf die Verschiebung der Inputbedingungen der Lernenden, vor allem die Heterogenität und die schwachen Basiskompetenzen der Lernenden, die Versorgung mit Lehrkräften und damit der Unterrichtsversorgung sowie die Neu- oder Umgestaltung der Governance der Berufsbildung. Unklarheit besteht über den Grad der Umsetzung eigenverantwortlichen beziehungsweise handlungsorientierten Lernens, vor allem im Lernfeldkonzept. Mangelt es an Ideen? Mangelt es an Verbindlichkeit?

BERUFSSCHULPFLICHT: AUCH FÜR DEN STAAT!

Die Berufsschulpflicht ist in der Berufsbildung ein zentraler Garant der Verbindlichkeit beruflichen Lernens. Das Gutachten zeichnet die Entwicklungslinien der Berufsschulpflicht, die Konstanz und den Wandel, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede und die unterschiedlichen rechtlichen Verankerungen nach – sowie den Verpflichteten.

Die Berufsschulpflicht verpflichtet nicht nur die Lernenden, sondern auch Betriebe und den Staat. Der Staat kommt seiner Berufsschulpflicht seit Langem nicht nach, sondern unterversorgt seine Bürgerinnen und Bürger. Zum Grad der Versorgung beziehungsweise des Ausfalls von Unterricht an beruflichen Schulen liegen bundesweit keine öffentlich zugänglichen Daten vor. Der Versorgungsgrad ist bundesweit intransparent. Die Länder unterscheiden sich bei der Erfassung (Methoden, Zyklus etc.), der Analyse und Aufbereitung sowie der Bereitstellung der Daten zur Unterrichtsversorgung. Die regelmäßig als Durchschnitt berichteten Daten verdecken weiterhin, dass es in der Berufsbildung erhebliche und folgenreiche Unterschiede nach Regionen, Schularten und Berufen geben dürfte. Die unterschiedlichen Schulverwaltungssysteme in den Ländern haben abweichende Funktionalitäten, auch bezüglich der Bereitstellung entsprechender Daten. Mit Blick auf eine datengestützte Schulsteuerung und -entwicklung müssten die Daten jedoch einheitlich aufbereitet und auf verschiedenen Ebenen zur Verfügung gestellt werden. Notwendig wäre eine Bereitstellung der Daten zur eigenen Schule (Klasse und Bildungsgänge) sowie Vergleichsdaten im Schulaufsichtsbereich (z. B. Regierungsbezirk), Daten zu vergleichbaren Bildungsgängen (Landesebene) und Daten auf der Landesebene (insgesamt). In einigen Ländern ist dies der Fall, in anderen Ländern wiederum nicht.

Die Unterversorgung ist seit vielen Jahren chronisch und scheint in Schulen, in Betrieben und der Politik zur Gewohnheit geworden zu sein. Besondere Aufmerksamkeit erregt sie weder in der Berufsbildungsforschung noch in der Bildungs- oder in der Wirtschaftspolitik. Angesichts der Tatsache, dass in der empirischen Forschung die aktive Unterrichtszeit immer wieder als zentraler Prädiktor für Lernerfolg herausgestellt wird, ist diese weit verbreitete Gelassenheit sehr erstaunlich. Die Gründe sind vielfältig. Ein zentraler Faktor bei der Unterversorgung ist der Versorgungsengpass bei Lehrkräften. Schon aufgrund der Berufsschulpflicht der Länder sind diese daher aufgefordert, Strategien vorzulegen, umzusetzen und zu evaluieren, um eine ausreichende Zahl an pädagogischen Fachkräften bereitzustellen.

SCHULPFLICHT: AUCH FÜR JUGENDLICHE!

Auch Lernende in der Berufsbildung werden von der Berufsschulpflicht selbst in die Pflicht genommen. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen einer konkreten Berufsschulpflicht im Falle eines Berufsschulbesuchs im Rahmen eines dualen Ausbildungsverhältnisses und einer sogenannten abstrakten Berufsschulpflicht für den Fall, dass kein Ausbildungsverhältnis besteht: In anderen Nationen werden diese Sachverhalte getrennt rechtlich geregelt.

Abbildung 1: Schulabsentismus

Nicht nur der Staat, sondern auch Schülerinnen und Schüler können sich der Schulpflicht entziehen. Schulversäumnisse können legitim sein, etwa aufgrund von Krankheit oder Beurlaubung, oder aber illegitim. Die Abgrenzung ist – etwa bei fingierten Krankmeldungen – in der Schulpraxis nicht immer einfach. Illegitime Versäumnisse werden in der Literatur als Schulabsentismus (school absenteeism) begriffen. Dabei ist es üblich, drei Formen zu unterscheiden, nämlich das Schulschwänzen (truancy), die angstbedingte Schulverweigerung (school refusal) und das sogenannte Zurückhalten, vor allem durch Eltern (parental-condoned absence, parental-withholding). Schulschwänzen ist dabei von den Lernenden selbst initiiert, erfolgt ohne Einverständnis der Eltern, und nicht angstbedingt. Es besteht darin, den Schulbesuch durch angenehmer erscheinende Alternativen zu ersetzen, etwa Schlafen, Peers treffen oder Shoppen. Beim Zurückhalten werden Lernende von ihren Eltern von der Schule ferngehalten, etwa um sich um Familienmitglieder zu kümmern, in der Familie andere Aufgaben zu übernehmen oder die Zeiten vor oder nach den Schulferien für Urlaub zu nutzen. Für Schulabsentismus sind mehrere Faktoren verantwortlich. Werden die vorhandenen empirischen Befunde auf berufliche Schulen adaptiert und ergänzt, lassen sich verschiedene Gruppen von Risikofaktoren auf der Mikro-, Meso- und Makro-Ebene ausmachen.

Gesicherte empirische Befunde zum Umfang des Schulabsentismus, vor allem der unterschiedlichen Formen, liegen für die Berufsbildung nicht vor. Internationale Daten deuten auf eine Verschärfung nach der Covid-19-Pandemie hin. Vor diesem Hintergrund scheint vor allem ein Verfolgen des Umfangs von Schulabsentismus (Monitoring beziehungsweise Fehlzeitmanagement) notwendig. Dies setzt schuleinheitliche Entschuldigungsund Fehlzeitenregelungen, einen einheitlichen Weg zur Erfassung von Fehlzeiten, Transparenz gegenüber allen Beteiligten, Auswertungen der Daten auf Ebene der Klasse, des Bildungsgangs und der Schule, gegebenenfalls auch schulübergreifend in einem Schulverbund, sowie Prozesse für Folgemaßnahmen voraus. Dabei sollten auch moderne Formen der Datengewinnung und -nutzung berücksichtigt werden. Insgesamt bietet sich das Fehlzeitenmanagement für eine datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung an.

Angesichts der unterschiedlichen Formen und der multifaktoriellen Bedingtheit von Schulabsentismus ist es wenig überraschend, dass rechtliche Maßnahmen, insbesondere Bußgelder, Zwangsgelder oder zwangsweise Zuführung, zwar vergleichsweise einfach, aber nicht vielversprechend sind. Erforderlich sind vielmehr umfassende Konzepte, die sowohl die Prävention als auch das Monitoring, die Datennutzung und die Intervention abdecken und dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit anderen Akteuren setzen. Beispielhaft anzuführen sind die Richtlinien für den Umgang mit Schulpflichtverletzungen der Stadt Hamburg. Internationale Best-Practice-Ansätze, insbesondere der britische Ansatz des Department for Education, betrachten die Bekämpfung von Schulabsentismus als Aufgabe der gesamten Schule und ihres Umfeldes und betonen die Bedeutung eines Monitorings der Anwesenheit nahezu in Echtzeit.

ANSCHLUSSPERSPEKTIVEN: AUCH FÜR NICHT MEHR BERUFS-SCHULPFLICHTIGE

Die abstrakte Berufsschulpflicht greift bei Personen, die keine Ausbildung im Dualen System und auch keine weiterführende Schule absolvieren. Mit Blick auf den Übergang von der Schule in den Beruf kann es sich dabei um Jugendliche handeln, die in das Übergangssystem eintreten. In einem früheren Gutachten diskutiert der Aktionsrat Bildung diesen Bereich ausführlich.

Eine besondere gesellschaftliche Herausforderung sind nicht mehr berufsschulpflichtige Personen, deren Anschlussperspektiven nach einem Abschluss oder Abbruch unklar bleiben und die damit möglicherweise zu NEETs werden. Der Anteil derjenigen, die weder in Beschäftigung noch in einen formalen Bildungsgang eingebunden sind, die sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training), beträgt zurzeit etwa neun Prozent in Deutschland und ist damit geringer als im EU-22-Durchschnitt. Der Zeitreihenvergleich ab 2000 ist statistisch problematisch. Im Zeitraum von 15 Jahren betrachtet, ist der Anteil der NEETs in Deutschland gesunken, und ein wesentlicher Anteil davon ist als arbeitslos registriert. Die NEET-Anteile sind in den Bundesländern sehr unterschiedlich. „NEET“ hat sich in der Sozialberichtserstattung und in der bildungs- und sozialpolitischen Agenda etabliert, fasst jedoch sehr heterogene Lebenslagen zusammen – und in heterogenen Situationen greifen einfache Therapien selten.

Eine Person ist beispielsweise in Bayern vom Besuch der Berufsschule befreit, wenn der mittlere Schulabschluss erreicht wurde. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, ob diese Person eine Anschlussperspektive hat oder als ungelernte Person mit entsprechenden Arbeitsmarktrisiken in den Arbeitsmarkt eintritt, sodass eine gezielte Ansprache unter dem Gesichtspunkt einer Verpflichtung gesellschaftlich geboten sein könnte. Durch die föderale Struktur liegt jedoch die Zuständigkeit für die Schulen und Hochschulen bei den Ländern, während die Berufsberatung am Übergang von der Schule in den Beruf Aufgabe des Bundes ist, und zwar der Bundesagentur für Arbeit. In der Vergangenheit bereitete schon der Datenaustausch Probleme, sodass Personen – administrativ – aus den jeweiligen Systemen fielen und ihr Verbleib ungeklärt blieb.

Daher wurde in den letzten Jahren die Möglichkeit eines Datenaustausches zwischen beteiligten Akteuren geschaffen beziehungsweise verbessert. Dazu wurden auf der Bundesebene eine sogenannte Schülerdatennorm (SDN) und die Möglichkeit der Weitergabe und des Empfangs von Daten verankert. Die Agenturen für Arbeit und im Rahmen der Rückübermittlung eine Landesstelle (z. B. eine Sozialbehörde) können so Jugendliche identifizieren und Kontakt mit ihnen aufnehmen. Dieser Datenaustausch erforderte gesetzliche Grundlagen, und zwar auf der Bundesebene und der Landesebene. Daher wurde auf der Bundesebene der § 31a im Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) geschaffen. Die Länder mussten entsprechende landesgesetzliche Regelungen schaffen. In Bayern erfolgte beispielsweise eine Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs-und Unterrichtswesen (Bay-EUG) und des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG). In Nordrhein-Westfalen wurde hingegen das Gesetz zur Übermittlung von Schülerinnen- und Schülerdaten am Übergang von der Schule in den Beruf (Schülerdatenübermittlungsgesetz NRW) verabschiedet. Eine technisch sichere sowie datenschutzkonforme Möglichkeit zum Austausch der Schülerdaten bietet hierbei die Übertragungslösung der Schülerdatennorm (SDN). Für bayerische Schulen wurde beispielsweise in der IT der amtlichen Schulverwaltung (ASV) der Export gemäß der Schülerdatennorm technisch ermöglicht. Der so generierte Datensatz kann datenschutzkonform der Bundesagentur für Arbeit zugeleitet werden.

Die Technik ist jedoch allenfalls Bedingung. Das SGB III formuliert das Kriterium „keine konkrete berufliche Anschlussperspektive“. Dieses zu beurteilen ist im Einzelfall nicht trivial. Gleich-wohl wird durch die Prozesse im Kontext der Schülerdatennorm (SDN) die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit am Übergang von Schule in den Beruf deutlich unterstützt. Allerdings steckt diese rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit noch in den Kinderschuhen. Vor diesem Hintergrund sind Pilotprojekte, Evaluationen und anschließende Revisionen notwendig. Dabei wäre insbesondere zu überprüfen, ob die vergleichsweise unverbindliche Ansprache der Jugendlichen revisionsbedürftig und ein weiterer Datenfluss, insbesondere zur Jugendhilfe, zu verstärken wäre. Unter Umständen wäre auch eine Änderung der abstrakten Berufsschulpflicht zu erwägen.

Abbildung 2: Förderung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen
Abbildung 3: Assessment berufliche Bildung

DIE PERSPEKTIVE ADAPTIVER DATEN-GESTÜTZTER SYSTEME BERUFLICHEN LERNENS

Das Verhalten und die Heterogenität von Schülerinnen und Schülern werden von Lehrkräften an beruflichen Schulen in den letzten Jahren als große Herausforderungen erlebt. Durch die oben skizzierten Entwicklungen im Kontext der Berufsbildung ist davon auszugehen, dass diese Herausforderungen eher noch zunehmen werden. Die oben skizzierte grundlegende Verschlechterung der basalen Kompetenzen bleibt in der Berufsbildung bislang ohne verbindliche und umfassende Antworten seitens der Bildungspolitik und -praxis.

BERUFSSPRACHLICHE FÖRDERUNG ALS ERKENNTNISLEITENDES BEISPIEL

Ein erkenntnisleitendes Beispiel ist die Förderung berufssprachlicher Kompetenz. Für die Förderung berufssprachlicher Kompetenz – also einer basalen Kompetenz – haben sich in der Berufsbildung in den letzten Jahren gute Beispiele herausgebildet. Der Verbreitungsgrad in der Praxis kann mangels Daten nicht gut beurteilt werden. Im letzten Gutachten „Bildung und sozialer Zusam menhalt“ des Aktionsrats Bildung von 2024 wird die grundlegende Rolle der Sprache für die Bildung hervorgehoben. Als Organisationsmodell hat sich in den letzten Jahren an beruflichen Schulen der sogenannte integrierte Unterricht entwickelt, und zwar in Anlehnung an die international übliche Bezeichnung „Content and Language Integrated Learning“ (CLIL). Dabei werden der Sprach- und der Fachunterricht verschmolzen. Daneben existiert die isolierte Förderung basaler Kompetenzen.

Die systematische und verbindliche Förderung der basalen Kompetenzen in der Berufsbildung hat sich vor allem auf die Sprachkompetenz konzentriert. Andere basale Kompetenzen blieben außen vor. So liegen für sozial-emotionale Kompetenzen weder Standards noch Screening-beziehungsweise Monitoring-Instrumente oder darauf abgestimmte berufsbildungsspezifische Präventions-,Förder beziehungsweise Interventions-strategien vor. Nach den Erfahrungen bei der Implementierung integrierten berufssprachlichen Unterrichts an beruflichen Schulen sollten sich Assessment-Instrumente nicht allein auf wissenschaftliche Tests beschränken, sondern auch informelle Tests berücksichtigen.

Entsprechend der Praxis berufssprachlicher Förderung an beruflichen Schulen in Bayern lässt sich die Notwendigkeit von zwei Formen des Assessments ableiten, über deren faktische Verbreitung jedoch keine Daten vorliegen. Dazu gehört erstens die Bereitstellung wissenschaftlicher Tests. Für die Sprachkompetenz sind dies beispielsweise das deutsche Sprachdiplom – Erste Stufe für Berufliche Schulen (DSD I PRO) der Kultusministerkonferenz, der Nürnberger Berufliche Schulen Deutsch Test (NBD-T), die telc Deutsch-Tests für den Beruf (DTB) oder der Deutsch B1∙B2 Pflege des Sprachanbieters telc gGmbH. Zweitens sollten informelle, also durch Lehrkräfte produzierte Tests, diese wissenschaftlichen Tests ergänzen. Die Rolle der Lehrkräfte variiert je nach Testtyp: Bei wissenschaftlichen Tests beschränkt sich ihre Aufgabe darauf, den Test anzuwenden und somit lediglich zu rezipieren. Im Gegensatz dazu erfordert die Durchführung informeller Tests die eigenständige Erstellung durch die Lehrkräfte. Angesichts der hohen Heterogenität der Berufsbildung – etwa mit Blick auf über 300 Ausbildungsberufe – ergibt sich hier ein trade-off zwischen hoher Standardisierung und Berufsnähe von Assessments, Standards und Förderstrategien. Mit Ausnahme der Sprachförderung gibt es für die anderen basalen Kompetenzen keine Standards, kaum wissenschaftliche Tests für berufliche Schulen und nur mit wenigen Ausnahmen Materialien für den integrierten berufsbildenden Unterricht, etwa die Umsetzungshilfe zur Vermittlung von mathematischen und zeichnerischen Grundlagen im Rahmen des Lernfeldunterrichts.

EIN ADAPTIVES SYSTEM DATENGE-STÜTZTEN BERUFLICHEN LERNENS ALS PERSPEKTIVE DER BERUFSBILDUNG

Dieses erkenntnisleitende Beispiel der Förderung berufssprachlicher Kompetenz kann vor dem Hintergrund des internationalen Modells der „Response-to-Intervention“ (RTI) beziehungsweise der Multi-Tiered Systems of Support (MTSS) reflektiert werden. Entsprechend der Vorstellung des Center on Multi-Tiered Systems of Support hat ein MTSS vier grundlegende Elemente:

Screening:Ein MTSS umschließt ein periodisches Screening, mit dem Ziel, Lernende zu identifizieren, bei denen ein Risiko für schwache Lernleistungen besteht.

Monitoring:Dem Screening schließt sich ein Monitoring an, das den Fortschritt über die Zeit verfolgt. Dabei werden sowohl die Lernleistungen als auch das Verhalten erfasst.

Prävention, Förderung, Intervention (multitiered):Ein weiteres Element ist die Förderung und Prävention auf verschiedenen Ebenen (multi-tiered). Der größte Teil der Förderung geschieht auf der ersten Ebene (tier 1) mit allen Lernenden. Die zweite Ebene (tier 2) richtet sich an identifizierte Lernende, die zusätzlich und in Kleingruppen gefördert werden. Erweist sich das nicht als erfolgreich, erfolgt eine intensive Einzelförderung auf der dritten Ebene (tier 3).

Datenbasierte Entscheidungen:Alle Entscheidungen sollten datenbasiert getroffen werden.

Für die Berufsbildung müssen nach dieser Vorstellung zunächst verpflichtende Standards formuliert werden. Für die Berufssprache Deutsch erfüllt dies in Bayern z. B. der Lehrplan Deutsch mit einem Alphabetisierungs-, Basis-, Regel- und Wahlpflichtlehrplan. Für das Screening und das Monitoring müssen sowohl für die Lernleistungen (beziehungsweise die Lernausgangslage) als auch für das Verhalten Instrumente bereitgestellt werden. Für die Berufssprache Deutsch liegen in Bayern beispielsweise die oben genannten wissenschaftlichen und informellen Tests vor. Die Förderinstrumente müssen sowohl den integrierten Unterricht als auch die isolierte Förderung basaler Kompetenzen berücksichtigen. Analog zur Diskussion in der frühen Bildung, die im Gutachten dargestellt wird, muss auch für die Berufsbildung erwogen werden, in welchen Bereichen die Erhebung der basalen Kompetenzen zum Zwecke einer adaptiven Förderung verbindlich gemacht werden sollte.

Hinweise auf lernerfolgsgefährdendes Verhalten. Dabei spielt das Monitoring von Schulabsentismus eine Bedeutung. Screenings bilden die Grundlage für die Förderung und Intervention auf verschiedenen Ebenen (multitiered), wobei die Entwicklung der Lernleistungen, etwa im Bereich der basalen Kompetenzen, aber auch das Verhalten, wie z. B. Abwesenheiten oder abweichendes Verhalten, in einem Monitoring verfolgt werden. Formen des personalisierten Lernens spielen bei der Förderung eine zentrale Rolle. Dies adressiert im Verbund mit dem multitiered-Ansatz in besonderer Weise die Heterogenität.

Innerhalb der Schule steht den Lehrkräften ein Supportsystem zur Verfügung wie beispielsweise die sogenannten Berufssprache Deutsch-Teams an beruflichen Schulen in Bayern. Derartige schulinterne Supportsysteme sollten multiprofessionell angelegt sein. Daten sind dabei nur ein Element eines soziotechnischen Systems. Dazu gehören in sozialer Hinsicht beispielsweise Strukturen kooperativer Professionalität, die Arbeit mit Datenteams oder Datenkonferenzen und die Einbettung der Daten in Handlungszyklen. Der notwendige Schutz der informationellen Selbstbestimmung muss mit Datennotwendigkeiten zur Gewährleistung beruflichen Lernens austariert werden. In technischer Hinsicht gehören z. B. zielgruppengerechte, sparsam und zeitnah bereitgestellte Daten mit einer abgeklärten Data Governance in Form von Dashboards dazu. Je stärker Prozesse in der Schule – des Lernens, des Lehrens, der Administration und der Entwicklung – digitalisiert werden, desto mehr Prozessdaten stehen zur Verfügung. Künstliche Intelligenz (KI) kann die Produktion entscheidungsrelevanter Daten erheblich unterstützen.

Abbildung 4: Adaptives System datengestützten beruflichen Lernens

SCHULEN NICHT ALLEIN LASSEN

Die Schulen werden im adaptiven System datengestützten beruflichen Lernens nicht allein gelassen, sondern können auf ein schulübergreifendes Supportsystem zurückgreifen. Die Analyse internationaler Best Practices zeigt, dass bei der datengestützten Schulentwicklung Daten auf mehreren Entscheidungsebenen, also auch auf der Schulaufsichtsebene, verfügbar sind. Das Bildungssystem wird zu einem über mehrere Ebenen aufgespannten komplexen adaptiven System und Schulqualität ist ein Resultat der Verschränkung von Systemebenen. Die zur Verfügung stehenden Daten lassen sich nach den Kernaufgaben zu Kontroll-,Beratungs- und Unterstützungszwecken nutzen. So kann die Ressourcenallokation etwa knapper Fördermittel indikatorengesteuert erfolgen.

Ein Beispiel indikatorengesteuerter Ressourcenzuweisung ist das Startchancenprogramm, in dem die beruflichen Schulen – vorrangig Schulen der Berufsbeziehungsweise Ausbildungsvorbereitung – in der entsprechenden Verwaltungsvereinbarung explizit erwähnt werden. Allerdings legen auch Länder beziehungsweise Kommunen, die einen Sozialindex schon länger nutzen, etwa Hamburg oder Hessen, diesen zumindest für die erste Runde nicht für berufliche Schulen vor. Einige Entwicklungen sind erkenntnisleitend. Eine Ausnahme in der Entwicklung stellt Baden-Württemberg dar. Bei den öffentlichen beruflichen Schulen erfolgt die Schulauswahl dort aufgrund von Indikatoren in der Armutsund Migrationsdimension. Die Ermittlung erfolgt unter anderem auf der Grundlage der Adressdaten der Schülerinnen und Schüler. Insgesamt ist die Diskussion um tragkräftige Konzepte zu einer indexgesteuerten Vergabe von Ressourcen an beruflichen Schulen noch in einem frühen Stadium. Große südliche Bundesländer, vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, berücksichtigen keine beruflichen Schulen zum Programmstart. Eine bundesweite Diskussion – in der Berufsbildungspolitik, Berufsbildungspraxis und Berufsbildungsforschung – erfolgt zurzeit kaum. Dabei wäre an vorliegende Modelle beziehungsweise Praxis anzuknüpfen.

Dazu gehört vor allem die bereits seit 2012 praktizierte bedarfsorientierte Budgetierung (BoB) der Stadt München. Auffällig ist in diesem Diskussionsstrang im Licht des KIPO-Modells ein Übergewicht der indikatorengesteuerten Ressourcenzuweisung bei Daten für den Kontext und eine vergleichsweise geringe Bedeutung von Input-, Prozess- und Outputdaten.

AUTONOMIE BERUFLICHER SCHULEN UND SCHULLEITUNGEN

Schulen müssten in einem adaptiven Mehrebenensystem (teil-)autonom handeln können. Das Versprechen einer erhöhten Autonomie beruflicher Schulen ist über 25 Jahre alt. Dessen Einlösung war immer wieder Gegenstand der Gutachten des Aktionsrats Bildung. Im Schulrecht wird das Konzept in den Bundesländern sehr unterschiedlich, häufig unter der Bezeichnung „Selbständigkeit“ oder „Eigenverantwortung“ verankert. In einer rechtsvergleichenden Untersuchung werden 30 Elemente ausgemacht, die Schulautonomie in den Gesetzen indizieren und damit unterschiedliche Konfigurationen in den Län-dern ermöglichen. Diese Vielfalt macht die unterschiedlichen empirischen Befunde zur Schulautonomie verständlich. Es lassen sich sehr unterschiedliche Begründungslinien für Schulautonomie ausmachen. Schulautonomie erweist sich als polyvalentes Konzept und der empirische Forschungsstand zeigt eine gemischte Bilanz auf – angesichts der Vielgestaltigkeit von Begriff und Realisierung wenig überraschend. Der Vergleich der Bundesländer, Schularten und der internationale Vergleich des aktuellen Standes der Autonomie deutscher Schulen fällt schwer, und es liegen keine belastbaren empirischen Daten vor. An der internationalen Erhebung „Teaching and Learning International Survey“ (TALIS) 2018, die hier wertvolle Erkenntnisse gebracht hätte, beteiligte sich Deutschland nicht. Mit Blick auf die Operationalisierung von Schulautonomie in dieser Erhebung in den verschiedenen Dimensionen (Staffing, Budget, School Policies, Curriculum and Instruction) dürfte der Grad der Autonomie deutscher Schulen weit von den Spitzenplätzen entfernt sein.

Die Steuerung von Schulen beziehungsweise die Schulautonomie ist mit einer veränderten Rolle von Schulleitung verbunden. Eine Fülle „neuer“ Führungsmodelle wird in der Wissenschaft, aber auch in der Praxis diskutiert – vornehmlich noch in Unternehmen, zum Teil aber auch in Schulen. Sie wollen auch Antworten geben auf die veränderten Ansprüche neuer Generationen von Beschäftigten und Bedingungen einer von den Merkmalen „Volatility“, „Uncertainty“, „Complexity“, „Ambiguity“ (VUCA) gekennzeichneten Welt. Dazu zählen etwa agile Führungsinstrumente oder Modelle der Selbstführung, wie sie im Gutachten „Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem“ des Aktionsrats Bildung im Jahr 2021 erläutert werden. Besondere Innovationsbedarfe – etwa die Digitalisierung – führen zu spezifischen Führungsmodellen, beispielsweise Digital Leadership in den ergänzenden Empfehlungen der KMK zur KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. Die sich lange Zeit ausschließlich auf die Person der Schulleiterin beziehungsweise des Schulleiters konzentrierte Führungsvorstellung wandelt sich unter der Vorstellung einer „distributed leadership“. Dies würde unter anderem zur Berücksichtigung der Teamebene in Qualitätsmanagement-Systemen führen, was jedoch bislang die Ausnahme darstellt. Insgesamt sind neue Führungsmodelle für berufliche Schulen bislang wenig reflektiert.

SCHULAUFSICHT NEU DENKEN

Adaptive Systeme datengestützten beruflichen Lernens führen zu einer Neuausrichtung schulaufsichtlicher Praxis. Die Schulaufsicht ist in der Berufsbildung organisatorisch komplex angelegt, meist über mehrere Ebenen, ist in den Ländern und zum Teil selbst innerhalb von Ländern nach Schularten unterschiedlich. Die Schulaufsicht wird durch intermediäre Akteure ergänzt, etwa eigenständigen Instituten wie Qualitätsagenturen oder Fortbildungsinstituten. Typisch ist auch die Ergänzung durch diverse, zum Teil vermutlich redundant arbeitende Beratungsstrukturen, die organisatorisch unterschiedlich angeschlossen sind.

Die Schulaufsicht wird traditionell entworfen als Unterstützungs-, Beratungsund Kontrollinstanz. Das Verhältnis zwischen Schulaufsicht und Lehrkräften, aber auch Schulleitungen gilt seit über 20 Jahren als gestört beziehungsweise dilemmatisch. Eine Stärkung der Autonomie von Schulen – etwa eine Verlagerung der Dienstaufsicht an Schulen - bedeutet die Neujustierung des Verhältnisses zur Schulaufsicht und den intermediären Akteuren. Neustrukturierungen, wie beispielsweise die Einführung von Räten, die schulaufsichtliche Aufgaben übernehmen, werden im Gegensatz zum Hochschulbereich und zu anderen Nationen nicht diskutiert, wurden aber schon früh vom Deutschen Juristentag (1981) gefordert. Der Blick auf Hochschulen ist nicht so fremd. Schließlich hat ein modernes Berufsbildungszentrum starke Parallelen zu einer Hochschule für angewandte Wissenschaften – wenn auch nicht in der Governance.

In der neuen Steuerungslogik soll nicht mehr die Einzelschule einseitig durch die politisch-administrative Ebene beeinflusst werden, sondern es soll auch die politisch-administrative Ebene entwickelt werden, das heißt die Beziehung ist wechselseitig gedacht. Empirische Arbeiten zeigen jedoch, dass beide Systeme weitgehend geschlossen und nicht anschlussfähig agieren. So sprechen Schulleitungen beispielsweise Zielvereinbarungen bisher nur moderate Änderungen zu. Spannungen zwischen diesen Akteuren ergeben sich aus deren Eigenlogik sowie den unterschiedlichen Funktionen und damit einhergehenden Handlungsformen. Trotz der inzwischen größeren Aufmerksamkeit für die Schulaufsicht sind die theoretische Aufarbeitung und empirische Erfassung schulaufsichtlicher Strukturen noch nicht weit fortgeschritten.

Schulaufsichtliche Strukturen und Prozesse werden im Regelfall nicht als Gegenstand eines systematischen Change-Managements betrachtet. So existiert in Deutschland generell kein Qualitätsmanagement für die Schulaufsicht – wohl aber eine Pflicht für die beruflichen Schulen im Aufsichtsbereich der Schulaufsicht. Eine Ausnahme stellen die neuen schulaufsichtlichen Strukturen und Prozesse in der Folge der Bildungsreform in Österreich dar. Ein umfassendes Qualitätsmanagement beruflicher Schulen sollte mit Blick auf das Mehrebenensystem beruflicher Bildung auch die Ebene der Schulaufsicht berücksichtigen.

FAZIT

Dieser Beitrag konnte nur eine Skizze des Gutachtens für eine spezifische Bildungsphase geben. Im Gutachten werden auf den verschiedenen Ebenen allgemein und speziell für die Berufsbildung Handlungsempfehlungen erarbeitet.

ZUSAMMENFASSENDE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN DES GUTACHTENS DES AKTIONSRATS BILDUNG ZUR STÄRKUNG DER VERBINDLICHKEIT IN DER BERUFLICHEN BILDUNG (FOKUS BERUFLICHE SCHULEN)

Makro-Ebene (Berufsbildungssystem)

• Unterrichtsversorgung transparent machen und verbindlich durch Fachkräftegewinnung und Personalentwicklung sicherstellen

• Pädagogisches Personal an beruflichen Schulen diversifizieren

• Rahmenbedingungen adaptiven beruflichen Lernens herstellen

• System adaptiver Unterstützung autonomer Schulen durch eine neue Rolle der Schulaufsicht verankern

• Rahmenbedingungen für Handlungsorientierung und kooperative Professionalität an beruflichen Schulen schaffen

• Prozesse im Zusammenhang mit der Schülerdatennorm (SDN-Prozesse) weiterentwickeln

• Bund-Länder-Koordination verbessern

Mikro-Ebene (Unterricht)

• Eigenverantwortliches berufliches Lernen stärken

• Basale Kompetenzen fachintegriert mit verbindlichen Standards, Screening und Monitoring auf mehreren Ebenen fördern

Meso-Ebene (Schule)

• Berufliches Lernen datengestützt weiterentwickeln

• Schulabsentismus und lernerfolgsgefährdende Verhaltensabweichungen schulweit bekämpfen

LITERATUR

Anders, Y.; Hannover, B.; Jungbauer-Gans, M.; Lenzen, D.; McElvany, N., Seidel, T., Tippelt, R., Wilbers, K. & Wößmann, L. (Hrsg. von vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft) (2025): Bildungsleistung durch Verbindlichkeit. Gutachten. Münster: Waxmann. Kostenloser Download unter: www.aktionsrat-bildung.de